01.12.2023
Peter Münger über nationale Implantat-Register
Warnsystem Implantat-Register: Revisionen vermeiden – Patientennutzen verbessern
Seit beinahe einem halben Jahrhundert werden Endoprothesen-Register geführt. Schweden und Finnland starteten als erste Nationen 1979, um Problemen mit Hüftimplantaten auf den Grund zu gehen – heute sind sie international weit verbreitet. Wie wertvoll diese Daten gleichermassen für Kliniken, Behörden und Hersteller von Implantaten sind, erläuterte Peter Münger, Leiter Medical Affairs bei Mathys, im Interview.
PETER MÜNGER
Peter Münger leitet den Bereich Medical Affairs bei Mathys und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit nationalen Implantat-Registern. Einerseits dient dies der eigenen Qualitätskontrolle, die auch für die gesetzliche Vorgabe wichtig ist. Andererseits bietet dies die Möglichkeit, die Handhabung der Mathys-Prothesen in der Praxis zu beobachten. Peter Münger ist mit zahlreichen nationalen Registern vertraut und engagiert sich für eine nachhaltige Zusammenarbeit mit den internationalen Registern.
Interview
Herr Münger, was sind die Ziele von Endoprothesen-Registern und wer hat Interesse an ihnen?
Peter Münger: Endoprothesen-Register können sehr viele Ziele verfolgen, je nachdem, aus welchem Blickwinkel sie betrachtet werden. In der Regel geht es um die Qualität in der Endoprothetik. Dabei werden in den meisten nationalen Registern nicht nur die Implantate selbst bewertet, sondern es werden Ergebnisse des ganzen Eingriffs erfasst. Wie viele Operationen führt die Klinik durch? Welche Technik wird für das Einsetzen der Prothese angewendet? Gab es eine Revision? Außerdem werden patientenspezifische Daten erhoben. Register sind demnach geeignet, Aussagen über die Qualität einer Prothese, eines Arztes bzw. einer Klinik, einer Technologie und begrenzt zu den Anforderungen an die Patienten zu treffen.
Wie blicken Sie als Hersteller auf die nationalen Endoprothesen-Register?
Peter Münger: Für uns haben Register eine immens hohe Bedeutung. Seit jeher haben wir eine sehr hohe Erwartung an die Qualität und somit die Langlebigkeit unserer Produkte. Unbeeinflussbare Aussagen über Jahre respektive Jahrzehnte zu den sogenannten Standzeiten lassen eigentlich fast nur Registerdaten zu.
Zudem sind Register ein Frühwarnsystem. So können wir beispielsweise erkennen, ob wir eine erhöhte Versagerrate aufgrund von Frühkomplikationen haben. Als Firma können wir dann reagieren, indem wir zusätzliche Schulungen anbieten oder falls nötig, Änderungen am Instrumentarium oder der Operationstechnik vornehmen. Solche Kennzahlen werden von den meisten Registern erfasst. Wir können auch sonst sehr gut sehen, was nach der Markteinführung mit den Prothesen passiert: Wie häufig werden sie verwendet? Wer sind die typischen Anwender? Bei welchen Patienten kommen sie zum Einsatz? Wir können zum Beispiel auch einen „off-label-use“ erkennen und gezielt dagegen vorgehen. Auch sonst arbeiten wir intensiv mit den Daten. Wir benötigen sie aus gesetzlichen Gründen für unsere Rezertifizierung. Das EU-Gesetz für Medizinprodukte, die Medical Device Regulation (MDR), fordert diese Daten ein. Einmal im Jahr berichten wir an unsere benannte Stelle und stellen Updates unserer klinischen Daten inklusive der Daten aus Registern zur Verfügung.
„Register sind für Mathys ein Frühwarnsystem: Geht alles gut? Müssen wir Änderungen vornehmen?“
Wie ist es derzeit um die nationalen Register bestellt? Erhalten Sie überall qualitativ hochwertige Daten?
Peter Münger: Ja, das ist zwar nicht überall in gleichem Umfang, aber überwiegend der Fall. Natürlich gibt es Unterschiede in den Ländern. Ein gutes Register erfasst die Daten von mindestens 90 bis 95 Prozent aller im Land durchgeführten Eingriffe. Das erzielen einige Länder in Europa, aber auch in Australien und Neuseeland beispielsweise. Qualitativ ist es so, dass schon unterschiedliche Daten erfasst und publiziert werden. Das schwedische Register ist dabei sehr transparent. Hier könnten die Patienten beispielsweise selbst erkennen, in welcher Klinik es besonders wenige oder eben viele Revisionen gibt. Eine positive Entwicklung meiner Meinung nach ist, dass immer mehr Register den Therapieerfolg messen, die sogenannten PROM‘s Patient-Related-Outcome Measures. Es geht also zunehmend auch um die Lebensqualität und die Zufriedenheit der Patienten mit ihrem Implantat und nicht nur um die Dauer, wie lange ein Implantat im Körper verbleibt ohne dass eine zusätzliche Operation nötig ist.
Gibt es auch ein internationales Register, das die Daten über Landesgrenzen hinweg bündelt?
Peter Münger: Nein, das gibt es zur Zeit noch nicht. Allerdings gibt es die International Society of Arthroplasty Registries. Diese veranstaltet jährliche Kongresse, bei denen die Methoden der Register-Auswertungen, Resultate aus Registern und vieles mehr thematisiert werden. Wir sind dort regelmässig vertreten, um aus neuen Erkenntnissen zu lernen und die Beziehung zu den Registern zu pflegen. Diese Institution beschäftigt sich auch mit der Vereinheitlichung der zu erfassenden Registerdaten.
Wie sehr sind Sie mit der derzeitigen Datenqualität zufrieden?
Peter Münger: Aus den vorliegenden Daten können bereits sehr gute Rückschlüsse auf die Qualität der Prothesen und der Operationen gezogen werden. Luft nach oben gibt es natürlich immer: Denn je mehr Daten erfasst werden, desto mehr Aussagen lassen sich treffen. Die Hauptziele, nämlich Revisionen vermeiden, Ausreisser erkennen, um datenbasierte Empfehlungen geben zu können, das geht allerdings mit den zur Verfügung stehenden Daten bereits gut.
„Trotz Registerdaten bleibt die Entscheidung für eine Prothese individuell“
Wie bewerten Sie es, dass Patienten sich die Registerdaten ansehen und ihre eigenen Schlüsse ziehen können?
Peter Münger: Da sehe ich keine grosse Gefahr. In der Praxis ist es so, dass Kliniken und Ärzte ein intensives Aufklärungsgespräch führen. Dabei werden die Vor- und die Nachteile der Prothesen für jeden Patienten individuell besprochen. Sicher können Patienten nachlesen und sich informieren, welche Prothese wenige Revisionen erfährt und welche mehr. Nun kann es aber sein, dass ein Patient eine besondere Anatomie oder andere spezielle Anforderungen hat. In solchen Fällen ist dann die vermeintlich schlechter bewertete Prothese doch die bessere Wahl. Ich vertraue hier auf die Kompetenz der Ärzte, dies ganz individuell und verantwortungsvoll mit den Patienten zu besprechen.
Gibt es ein nationales Register, das Sie favorisieren?
Peter Münger: Es gibt heute zwei Register, die einen besonderen Service bieten. Das ist einerseits das australische und andererseits das britische. In Australien können wir uns als Hersteller jederzeit einloggen und uns die tagesaktuellen Registerdaten anschauen. So ist eine laufende Kontrolle möglich, was v.a. in der Anfangsphase der Produkteinführung wichtig ist. Ein super Service! In Grossbritannien erhalten wir Quartals-Reports für sämtliche unserer in UK vertriebenen Produkte, die sehr aussagekräftig sind. Sonst werden die Berichte einmal im Jahr zur Verfügung gestellt, meist im Herbst. Die Daten beziehen sich dann aber auf das Vorjahr. Es wäre wünschenswert, wenn die Register die Berichtverfassungsprozesse beschleunigen könnten, so dass wir schneller Zugriff auf die Daten haben.
Gibt es weitere Limitationen der Register?
Peter Münger: Ja, beispielsweise lassen sich gezielte Fragestellungen häufig nicht beantworten. Dazu sind nach wie vor klinische Studien erforderlich. Ausserdem sammeln Register keine Röntgenbilder. Das wäre für uns manchmal sehr hilfreich. In manchen Ländern haben schlechte Registerdaten auch Konsequenzen für Anwender oder Kliniken, wenn die Daten klinisch relevant schlechter als der Durchschnitt ausfallen. Oder, wie z.B. in Australien, kann es zu Nachschulungsaufforderungen kommen. Das wünschen sich natürlich die wenigsten Ärzte. Für uns als Hersteller kann dies aber als Mehrwert betrachtet werden.
Ich bin überzeugt, dass Erkenntnisse aus Registern in Zukunft für unser Gesundheitswesen an ökonomischer und medizinischer Bedeutung gewinnen werden.
Herr Münger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!