Apparative Medizin löst bei vielen Patienten Sorgen aus. Wer nicht versteht, was passiert, ist verunsichert. Eine gute Aufklärung kann Patienten zum Mitmachen motivieren. Doch oft verpuffen die Worte, als wären sie nicht gefallen. Was hilft? Comics!

Comics in der medizinischen Aufklärung – diese Idee klingt zunächst abwegig. Geschichten in Bildern sind doch eher etwas für Kinder und ein Nischenprodukt in der Erwachsenenlektüre – vielleicht mit Ausnahme in Frankreich. Bei näherer Betrachtung sind Comics aber äusserst sinnvoll. Denn Bildgeschichten können helfen zu verstehen. 

Geschichten verbinden Bekanntes mit neuen Fakten und bieten viele Anknüpfungspunkte an bereits vorhandene Gedächtnisinhalte. Diese Anknüpfung ist es, weshalb Geschichten aus neurobiologischer Sicht so effektiv als Vermittler von Daten und Fakten funktionieren. Unser Gehirn ist darauf eingestellt, nach Bekanntem zu suchen, zu sortieren und Ähnliches zu Clustern – es verknüpft gerne Dinge miteinander, so der Neurobiologe Gerald Hüther.1 Geschichten – auch in Bildern – transportieren Emotionen und sprechen andere Bereiche des Gehirns an. Ein grosses Netz wird gespannt. So kann die neue Information nicht nur besser verstanden, sondern ausserdem im Gedächtnis abgespeichert werden. Das funktioniert wie Eselsbrücken.

Aufklärung ist notwendig

Nun soll die ärztliche Aufklärung Patientinnen und Patienten bei der selbstbestimmten Entscheidung für oder gegen eine Behandlung oder einen Eingriff unterstützen. Beim Aufklärungsgespräch wird vermittelt, wie eine Untersuchung oder eine Operation genau verläuft. Es wird über den medizinischen Nutzen und potenzielle Risiken gesprochen. Oft verstehen Menschen das Gesagte nicht vollständig, können es in dem Moment nicht richtig erfassen, sind überfordert. Sie können in der vorgegebenen Zeit die Fakten und Daten nicht verarbeiten. Das kann dazu führen, dass sie den Nutzen der Massnahme falsch einschätzen, sich verweigern oder ängstlich an die Sache herangehen.

 

Studie belegt Nutzen von Comics

Vor dieser Herausforderung standen kürzlich auch zwei Kardiologinnen von der Charité in Berlin. Sie wollten die Aufklärungsgespräche für Patienten, die eine Herzkatheter-Untersuchung benötigten, optimieren. Denn – wie bei vielen Untersuchungen und Operationen – zeigte sich auch hier im Aufklärungsgespräch immer wieder eine Überforderung der Patienten aufgrund der Komplexität der Inhalte. 

Prof. Dr. Verena Stangl und Dr. Anna Brand von der Charité untersuchten2 daher bei 121 Patienten vor einer solchen Herzkatheter-Untersuchung den Nutzen eines Aufklärungs-Comics zusätzlich zu dem herkömmlichen Gespräch. Der 15-seitige Comic wurde an der Charité entworfen und umgesetzt. Ein Teil der Patienten erhielt das standardisierte Aufklärungsgespräch, ein anderer Teil das Aufklärungsgespräch und den Comic. Die Patienten wurden vor der Aufklärung und im Nachgang darüber befragt, wie stark ihr Angstgefühl ausgeprägt war, wie gut sie den Eingriff verstanden haben und ob sie mit der Aufklärung zufrieden waren.

Der Comic erwies sich in allen Punkten als erfolgreich: Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zur Aufklärung die bebilderte Broschüre bekamen, konnten im Schnitt knapp zwölf von 13 Fragen zur Vorgehensweise, den Risiken und wichtigen Verhaltensregeln nach dem Eingriff korrekt beantworten. Nach der klassischen Aufklärung lag der Wert nur bei neun von 13 Fragen. Zudem gaben die Befragten nach der Comic-Lektüre an, weniger besorgt zu sein als vor dem Aufklärungsgespräch.

72% der Teilnehmer waren mit der Comic-Aufklärung zufrieden und fühlten sich gut auf die Herzkatheter-Untersuchung vorbereitet. Nach der Standard-Aufklärung waren es nur 41% der Patienten.

 

Mehr Zeit zu verstehen

Die Studienleiterinnen schlussfolgerten, dass ein Comic es ermögliche, komplexe Inhalte sowohl textlich als auch visuell zu erfassen, was bei unterschiedlichen Lerntypen das Verstehen verbessere. Ein weiterer Pluspunkt dieser Aufklärungsform: Im Gegensatz zu einem Gespräch oder einem Video lässt ein Comic seinen Lesern so viel Zeit zum Erfassen der Inhalte wie individuell benötigt wird.  

Trotz dieser Erkenntnisse werden Comics zur Aufklärung bislang noch nicht viel eingesetzt. Zwar gibt es inzwischen internationale Untersuchungen über den Nutzen von Comics bei Brustkrebs-Patientinnen3, bei Infertilität4 und Anorexia nervosa5. Allerdings scheint im anglo-amerikanischen Raum die visuelle Aufklärung deutlich weiter verbreitet zu sein als beispielsweise im deutschsprachigen. Comics können nicht nur bei komplexen Untersuchungen, Operationen und Therapien, sondern insbesondere bei emotional schwierigen Themen nützlich sein. Mit Geschichten in Bildern lassen sich Gefühle, Sorgen und Ängste sehr viel besser mit Fakten und Informationen verknüpfen als im Gespräch.

Zum Nachahmen empfohlen

Wäre das für Ihre klinische Praxis auch eine Idee? Machen sie sich auf den Weg und entwickeln sie für schwer verständliche medizinische Untersuchungen oder Operationen gemeinsam mit einem guten Graphiker ein Konzept. 

Auch sprachliche Bilder können bei der Wissensvermittlung unterstützen. Wie genau, haben wir für sie in der Checkliste «Praktische Tipps zum «bildhaften» Formulieren» zusammengestellt.

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Praktische Tipps zum «bildhaften» Formulieren

CHECKLISTE

Buchtipps

Deutsch

Prof. Dr. Stangl

Verena Kardiologische Comics.

Charité, 2021

Deutsch

ComAn 1

Timos Bunter Traum – Comic für Kinder zur Narkose.

Thieme Verlag, 2019

Englisch

Barry, Linda

Making Comics.

Drawn & Quarterly, 2019

Englisch

Haines, Steve

Pain Is Really Strange.

Singing Dragon, 2015

Quellen

  1. Hüther G. Wir denken sehr gerne in Bildern. Whitepaper Storytelling 05. news aktuell 2017; 9–10.

  2. Brand A, Gao L, Hamann A, et al. Medical Graphics Narratives to Improve Patient Comprehension and Periprocedural Anxiety Before Coronary Angiography and Percutaneous Coronary Intervention: A Randomized Trial. Ann Intern Med 2019;170(8):579–581. 

  3. Lee TI, Sheu SJ, Chang HC, et al. Developing a Web-Based Comic for Newly Diagnosed Women With Breast Cancer: An Action Re-search Approach. J Med Internet Res. 2019;21(2): doi: 10.2196/10716.

  4. Venkatesan S, Murali C. Infertility Comics and Graphic Medicine. Perspect Biol Med 2018;61(4):609–621.

  5. Venkatesan S., Peter AM. Feminine famishment: Graphic medicine and anorexia nervosa. Health 2020;24(5):518–534.

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